Das akademische Manifest

Diskriminierende Strukturen durchziehen die Schweizer Universitäten und Hochschulen. Dies hat grundsätzliche Implikationen ‒ sowohl auf die Produktion wie auch auf die Vermittlung von Wissen.

Deshalb erarbeiteten Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam mit FemWiss Forderungen zum feministischen Streik am 14. Juni 2019. Diese nehmen konkreten Bezug auf das akademische Berufsumfeld. Nichtsdestotrotz sind sie als Teil der vielfältigen Forderungen aus den unterschiedlichsten Perspektiven, mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten und Betroffenheiten gedacht, die für diesen historischen Tag formuliert wurden: In Solidarität mit den nicht-akademischen Angestellten an Hochschulen, die für bessere und gleichberechtigte Arbeitsverhältnisse kämpfen, in Solidarität mit den streikenden Studierenden und in Solidarität mit allen Forderungen, die in Zusammenhang mit dem feministischen Streik 2019 gestellt wurden.

In Bezug auf unser eigenes Berufsumfeld fordern wir Folgendes:

  1. Bis 50 Prozent aller Professuren jeder Disziplin mit Frauen* besetzt sind, hat jede Hochschule der Schweiz bei Neubesetzungen mindestens 50 Prozent der Professuren mit Frauen* zu besetzen. Frauen* dürfen dabei nicht auf schlechter ausgestattete Stellen abgeschoben werden. Der gleiche Grundsatz soll auch bei Hochschulleitungsgremien und akademischen Stellen gelten.
  2. Wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit, unabhängig vom Geschlecht. Um das zu ermöglichen, müssen individuelle Gehaltseinstufungen und Lohnklassentrends transparent gestaltet werden.
  3. Jede Professur soll ein Jobsharing ermöglichen. Jobsharing bedeutet allerdings nicht, für den halben Lohn die gleiche Arbeit zu verrichten: Nur eine reale Arbeitsreduktion ermöglicht eine verbesserte Vereinbarkeit von beruflichen und ausserberuflichen Tätigkeiten.
  4. Mindestens die Hälfte der von den Hochschulen finanzierten Stellen im Anschluss an das Doktorat soll unbefristet sein.
  5. Lehre und Forschung sind angemessen zu entlöhnen. Dass Privatdozierende gratis unterrichten müssen, um ihren Titel nicht zu verlieren, ist sofort abzuschaffen. Lehraufträge und Mandate sind nicht erst am Ende des Semesters auszuzahlen.
  6. Bei jeder Berufungskommission, bei jeder Jury und bei jedem Entscheidungsgremium des Schweizerischen Nationalfonds SNF braucht es eine geschlechterparitätische Vertretung, auch innerhalb jeder Fachdisziplin.
  7. Zur Sicherstellung von fairen Einstellungsverfahren und einer geschlechtersensiblen Personalführung fordern wir obligatorische Weiterbildungen für Personen, die Einsitz in Berufungskommissionen haben und Kaderpositionen besetzen.
  8. Der Unterricht sowie die Administration an Schweizerischen Hochschulen soll gendergerecht sein. Deshalb fordern wir funktionsspezifische Sensibilisierungsmassnahmen für jede betroffene Berufsgruppe in Hochschulinstitutionen. Im Unterricht soll für eine geschlechtergerechte Sprachverwendung sensibilisiert werden.
  9. Wir fordern umfassende Massnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und ausserberuflichen Tätigkeiten.
  10. Mobilität (zum Beispiel im Rahmen von Fördermassnahmen) muss gefördert werden, darf aber keine Notwendigkeit sein.
  11. Regelmässige berufliche Verpflichtungen wie Sitzungen oder hochschulinterne Selbstverwaltungsgeschäfte müssen unter der Woche stattfinden und um 17 Uhr beendet werden.
  12. Familiengründungen müssen auch an Hochschulen ermöglicht und Familien unterstützt werden. Wir fordern die Einführung und den Ausbau der Elternzeit, damit eine tatsächlich gleichberechtigte Kinderbetreuung und -erziehung möglich ist.
  13. Die rechtliche und finanzielle Absicherung der Elternzeit muss auch in drittmittelfinanzierten Projekten gewährleistet sein. Die Elternzeit darf nicht zulasten der Forschenden von der bewilligten Forschungszeit abgezogen werden.
  14. Die Infrastrukturen für Kinderbetreuung an Hochschulen müssen weiter ausgebaut werden. Es braucht genügend und kostengünstige Plätze in Kindertagesstätten sowie ein ausreichendes Angebot an Eltern-Kind-Räumen.
  15. Wir fordern, dass Errungenschaften, die von der feministischen Bewegung erkämpft wurden − wie etwa die Etablierung der Geschlechterforschung an den Hochschulen oder die Untersuchung von Geschlechterverhältnissen in den einzelnen Disziplinen − aus- und nicht abgebaut werden.
  16. Wir fordern mehr Ressourcen für die Prävention und Ahndung von sexueller Belästigung an Hochschulen.
  17. Das Förderinstrument, das spezifisch Frauen* auf Doktorats- und Postgraduiertenstufe aufgrund ihrer familiären Situation unterstützte (Marie Heim-Vögtlin), wurde vom SNF abgeschafft zugunsten eines Formats, das sich auf Exzellenz ab Post-Doc-Stufe reduziert. Wir fordern die Schaffung von neuen und die Stärkung von bestehenden Förderinstrumenten, damit junge Forschende unabhängig von ihrer familiären Situation, von ihrem Geschlecht und von geschlechter-abhängigen Netzwerken dieselben Weiterentwicklungsmöglichkeiten erhalten.
  18. Zwangsoutings, falschen Geschlechterzuschreibungen und unnötigen Vergeschlechtlichungen an Hochschulen soll entgegengetreten werden. Wir fordern administrative und infrastrukturelle Anpassungen für nonbinäre, Trans- und Inter-Menschen, zum Beispiel eine vereinfachte Angleichung oder Streichung des Geschlechtseintrags oder geschlechtsneutrale Toiletten. Wir fordern Schulungen des Personals sowie kompetente Anlaufstellen zu diesen Themen an jeder Hochschule.
  19. Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und der Geschlechteridentität sind verschränkt mit weiteren Diskriminierungsachsen, wie Rassifizierung, Religion, sozialer oder geografischer Herkunft, sexueller Orientierung, Alter und Be-Hinderung. Wir fordern, dass Geschlechterdiskriminierung im Wissenschaftsbetrieb mehrdimensional und intersektional bekämpft wird.
  20. Wir fordern effektive und verbindliche Kontrollmechanismen und Massnahmen zur Umsetzung der Geschlechtergleichstellung.